Ein Interview mit Dr. Gabriele Holfeld-Weitlof, Expertin für Psychosomatik.
Frau Dr. Holfeld-Weitlof zu Ihnen kommen oft Patienten, die schon einen langen Leidensweg hinter sich haben: die von Arzt zu Arzt geschickt worden sind, die aber immer noch ratlos sind, was die Ursache ihrer Beschwerden ist. Was sagen Sie solchen Patienten?
Holfeld-Weitlof: Ich nehme mir in erster Linie Zeit. Viel Zeit, um mir die Geschichte von Anfang an neu erzählen zu lassen. Die Menschen kommen mit
einem Riesen Akt an Befunden zu mir, aber oftmals sieht jeder Facharzt solche Patienten „durch seine Brille“, und die ganzheitliche Sicht fehlt. Ich nehme diese Patienten und ihre Beschwerden ernst, und wenn alle organischen, schulmedizinischen
Befunde in Ordnung sind, schauen wir uns die
psychische Komponente an.
Wenn die Beschwerden auf seelische Zustände zurückzuführen sind, warum ist die Diagnose dann so schwierig?
Holfeld-Weitlof: Manchmal wollen sich die Patienten einfach nicht ins „seelische Eck“ rücken lassen und suchen „verzweifelt“ nach einer physischen
Diagnose.Wenn sich aber herausstellt, dass es eine seelische Ursache hat, die man auch behandeln kann, ist die Erleichterung oft sehr groß. Viele fragen sich dann, warum bin ich das Problem nicht früher schon aus Sicht der Psychosomatik angegangen.
Haben psychosomatische Leiden zugenommen?
Holfeld-Weitlof: Ja.
Hat Corona einen Einfluss? Mit Corona hat ja der psychische Stress zugenommen, was vor allem den Jungen zu schaffen macht.
Holfeld-Weitlof: Ja – Corona hat einen Einfluss. Stichwort: Viel zu Hause sein oder fast nur noch
zu Hause sein. Damit ist die Doppelbelastung bei Frauen gestiegen. Denken wir nur an Homeoffice und Homeschooling. Beziehungskonflikte sind mit Corona ebenfalls häufiger geworden. Überforderung, häusliche Gewalt – das sind auch Folgen von Corona. Bei Jugendlichen ist das Thema soziale Kontakte ganz entscheidend, wenn die eingeengt sind, macht das etwas mit den Jungen. Dazu kommen familiäre Probleme durch das oft beengte Leben in der Wohnung, das macht Stress, psychischen Stress. Es ist aber nicht nur Corona - insgesamt nimmt psychischer Stress zu.
Sind bei Kindern psychosomatische Erkrankungen im Vormarsch, beispielsweise Neurodermitis oder auch Allergien?
Holfeld-Weitlof: In meiner Praxis sind es vor allem Jugendliche, die von mir betreut werden. Da habe ich es verstärkt mit Essstörungen, speziell Anorexie zu tun. Aber auch mit Depressionen, unter denen Junge vermehrt leiden. Ein Anstieg der Allergien ist ebenfalls zu beobachten.
Was sind typische psychosomatische Leiden?
Holfeld-Weitlof: Schlafstörungen, Chron. recidivierende Infekte (Harnwegsinfekte, grippale Infekte), Kopfschmerzen, Magen und Darmprobleme (Reizdarm, Gastritis), Gewichtsprobleme (Übergewicht, Essstörungen), Hautprobleme, LibidoproblemeMuskuläre Verspannungen (Rücken- Nackenschmerzen) sowie Allergien
Was kann man tun, um seine seelischen Abwehrkräfte, die psychische Widerstandsfähigkeit zu stärken?
Holfeld-Weitlof: Es gibt eine Vielzahl von Möglichkeiten. Etwa eine Gesprächstherapie, eine Systemische Hypnosetherapie, das Achtsamkeitstraining – MSBR (mindful based stress reduction) und natürlich viel Bewegung in der Natur und eine gesunde Ernährung und orthomolekulare Unterstützung – zum Beispiel Vitamin C, Zink, Vitamin D, Vitamin B, Autogenes Training und Positive Psychologie kann die psychischen Kräfte stärken.