Wir werden immer älter und wünschen uns ein langes, gesundes Leben. Und in vielen Ländern ist man auf dem Weg dorthin auch schon ein schönes Stück vorangekommen. In den vergangenen 150 Jahren ist die durchschnittliche Lebenserwartung im hoch entwickelten Westen um beeindruckende 40 Jahre angestiegen.
Aber wie weit kann das noch gehen, das möglichst lange Leben bei voller Vitalität und Gesundheit, 150, 200, 300 Jahre? Oder gar 1000, wie der bekannte britische Altersforscher Aubrey de Grey prophezeit, der ernsthaft davon überzeugt ist, dass der erste Mensch, der 1000 Jahre alt wird, bereits unter uns weilt, schon geboren ist. Derzeit noch Zukunftsmusik. Denn auch wenn es immer mehr 100-Jährige gibt, hat nach heutigem Stand der Wissenschaft nach spätestens 120 Lebensjahren unweigerlich der Tod seinen Auftritt. Selbst unter optimalsten Lebensbedingungen ist meist relativ bald nach dem 100. Geburtstag das Ende der Fahnenstange erreicht. So hat es die Evolution im genetischen Programm für die Spezies Mensch festgelegt. Aus wissenschaftlicher Sicht gibt es nach wie vor nur eine Methode, den Alterungsprozess zu bremsen: weniger essen und viel Bewegung. Dass kalorienarme Diät das Leben verlängert, ist durch Tierversuche und epidemiologische Daten beim Menschen belegt. Veröffentlichungen aus jüngster Zeit lassen allerdings hoffen, dass es immer besser gelingt, in das genetische Programm einzugreifen, es zu knacken und vielleicht sogar umzuschreiben. So könnte der Weg frei werden für ein sehr langes Leben weit über die 120 Jahre hinaus. Dazu muss man zunächst einmal verstehen, wozu die Evolution den Tod überhaupt braucht, welchen Sinn das Sterben eigentlich hat. Schon Johann Wolfgang von Goethe beschäftigte die Frage nach dem Sinn des Todes, warum dieser unaufhörliche Kreislauf von Geburt und Tod? Auch Wissenschaftler unserer Zeit gehen dieser Frage nach und kommen zu denselben Erkenntnissen wie der Dichter und Naturforscher Goethe: der Tod ist nur deshalb in das genetische Programm von Lebewesen eingeschrieben, um die Weiterentwicklung der Arten zu ermöglichen, das unaufhörliche Voranschreiten der Evolution mit ihren ständigen Mutationen, Anpassungen und Veränderungen immer weiter voranzutreiben. Ein ewiger Schöpfungsprozess, der erst enden wird, wenn jegliches Leben erloschen ist. „Ohne den Tod wäre Veränderung nicht möglich“, drückt es der Evolutionsbiologe und Biophilosoph Eckart Voland von der Universität Gießen aus. Der Evolutionsbiologe vor einiger Zeit in einem „Tagesspiegel“-Interview: „Die Natur favorisiert vor allem die Fähigkeit, mit den Herausforderungen des Lebens fertig zu werden. Dafür ist ein gutes Immunsystem unerlässlich. Das kostet so viel Energie, dass unser Körper sie nur in jungen Jahren aufbringen kann, aber nicht auf Dauer. Es ist deshalb wichtig, dass Organismen in jungen Jahren optimal funktionieren, damit sie ihre eigenen Gene bestmöglich vermehren können, indem sie sich fortpflanzen. Nur darum geht es im Prozess der Evolution.“
Ein Schwamm, der schon 10.000 Jahre lang lebt
Betrachtet man die breite Vielfalt des Lebens auf der Erde, so erstaunt, dass es auch Ausnahmen zu geben scheint, nämlich Lebewesen, denen eine geradezu unglaublich lange Lebensspanne gegönnt ist, die womöglich gar nicht sterben müssen. Man weiß zum Beispiel, dass Grönland Haie in ihrer eiskalten Lebenswelt bis zu 500 Jahre alt werden können. Der Grönlandwal in seiner unmittelbaren Nachbarschaft erreicht locker 200 Jahre, die älteste je gefundene Island-Muschel hatte mehr als 500 Jahre am Buckel. Aber es ist nicht nur die kalte Umgebung, die durch die extreme Verlangsamung der Lebensprozesse eine lange Lebensspanne ermöglicht, auch im tropischen Gewässer rund um Hawaii findet man Exemplare der Schwarzen Koralle, die mehr als 4000 Jahre alt sind.
Viele Lebewesen sind potenziell unsterblich
Eckart Voland: „Ein Schwamm, den Forscher in der Antarktis kürzlich entdeckt haben, lebt nachweislich bereits seit 10 000 Jahren. Einzeller wie das Pantoffeltierchen haben gar die theoretische Chance, Milliarden Jahre zu leben, weil sie sich immer wieder teilen. Viele Lebewesen sind potenziell unsterblich. Selbstverständlich gibt es immer extrinsische Mortalitätsfaktoren, also äußere Gewalten, die zum Tod führen können. Aber ihre Lebensprozesse bleiben, ganz im Gegensatz zum Menschen, immer stabil, von selbst sterben sie nicht.“ Der menschliche Organismus sei hingegen so beschaffen, sagt der Wissenschaftler Voland, „dass er sich nach einer bestimmten Zahl von Jahren gewissermaßen selbst vernichtet. Die Körperzellen folgen dabei einem inneren Programm“. Woran kann es liegen, dass manche Tiere über wesentlich bessere Reparaturprogramme verfügen als die Menschen und daher viel länger leben können? Man kommt bei der Lösung dieser entscheidenden Frage seit einigen Jahren ganz gut voran. Ein Beispiel aus der Tierwelt ist der Axolotl, ein Lurch aus Mexiko mit ganz speziellen Selbstheilungskräften. Wenn er einen Arm oder ein Bein verliert, wachsen sie komplett wieder nach, samt Nerven, Muskeln und Knochen. Sogar Teile des Rückenmarks können sich regenerieren. Bei der Reparatur sind die gleichen Gene und Zellarten aktiv wie beim Menschen, konnte die Regenerationsforscherin Elly Tanaka vom Institut für Molekulare Pathologie in Wien nachweisen. Ihre Erkenntnisse wendet sie nun bei Stammzellengewebe an und testet damit Medikamente gegen Altersblindheit. Wissenschaftler der Mayo-Klinik in Rochester (USA) konnten kürzlich Mäuse drastisch verjüngen, indem sie mit einem genetischen Trick die „seneszenten Zellen“ der Tiere entfernten. Wenn die Erbinformation durch Strahlen, Chemikalien oder Alterung geschädigt wird, stoppt ein genetisches Programm die Zellteilung damit keine Krebszellen entstehen können. Die nun teilungsunfähigen aber noch lebenden Zellen produzieren Entzündungsstoffe, die das Immunsystem aktivieren. Dadurch werden diese Zellen abgebaut. Allerdings lässt die Leistungsfähigkeit des Immunsystems im Laufe des Lebens nach, so dass sich seneszente Zellen anhäufen. Bei typischen Alterserkrankungen – Arthrose, Arterienverkalkung, Grauer Star – finden sich im kranken Gewebe viele dieser seneszentenZellen, die chronische Entzündung hervorrufen. Die Mayo-Forscher schleusten in Labormäuse einen genetischen Schalter ein, der jede Zelle sofort abtötet, wenn sie ihr Seneszenz-Programm startet. Bei den Versuchstieren blieben die alterstypischen Entzündungen aus. Die Tiere bekamen weder Arthrose noch Grauen Star, Muskulatur und Fettgewebe bildeten sich im Alter kaum zurück.Die Forscher versuchen derzeit, auch das Seneszenz-Programm menschlicher Zellen zu stoppen. Damit wollen sie nicht nur Falten, Arthrose und Altersschwäche verhindern, sondern auch die Lebenserwartung insgesamt verlängern.
Milliarden für die Forschung
Es ist auch eine Frage des Geldes, um dem Ziel vom langen Leben näher zu kommen. Und im Silicon Valley wird dabei richtig tief in die vollen Kassen gegriffen. Schon 2013 hat Google die „California Life Company“ gegründet und die Forschung wie auch Elon Musk (Tesla) und Jeff Bezos (Amazon) mit Milliarden ausgestattet, um die Zielvorgabe ihres Zukunftsforschers Ray Kurzweil zu schaffen, nämlich dass ab dem Jahr 2029 die durchschnittliche Lebenserwartung jedes Jahr um ein Jahr verlängert werden kann. „Unser Wunsch nach Gesundheit, Glück und Macht kennt keine Grenzen“, schreibt der israelische Historiker Yuval Harari in „Homo Deus“ („Der Mensch als Gott“). Für das „ewige Leben“ müssen Christen ein gottesfürchtiges Leben führen, um nach dem Tod in die Unsterblichkeit einzugehen. Aber es ist das himmlische „ewige Leben“ des christlichen Glaubens, nicht das reale, irdische. Heute taucht am Horizont die Verheißung – oder die Hybris – eines sehr, sehr langen, eines theoretisch sogar ewigen irdischen Lebens auf. „Die Hoffnung auf ein ewiges Leben im Jenseits verliert in dem Maße ihre Attraktivität, in welchem das ewige Leben im Diesseits allmählich realisierbar erscheint“, so Harari.