Wer sich ausgewogen ernährt, bekommt alle Nährstoffe, Vitamine und Mineralien, die er braucht, heißt es immer wieder von Fachleuten. So ganz stimmt das aber nicht. Denn es gibt durchaus Personengruppen in bestimmten Situationen, die Nahrungsergänzungen (Supplements) benötigen um Mangelerscheinungen vorzubeugen. Und jetzt im Winter ist diese Personengruppe sehr groß: etwa 60 Prozent der Menschen in Mitteleuropa haben im Winter zu wenig Vitamin D im Körper.
Weil ein Großteil der Bevölkerung Mittel- und Nordeuropas in den Herbst- und Wintermonaten wegen des jahreszeitlich niedrigeren Einstrahlwinkels zu wenig Sonne auf die Haut bekommt, (siehe Grafik) sind die meisten von uns von einem mehr oder weniger ausgeprägten Vitamin-D-Mangel betroffen. Es ist nämlich die Sonne, die im Körper die natürliche Produktion von Vitamin D auslöst. Selbst durch gezielte Ernährung in Richtung Vitamin D kann dieser Mangel, der durch zu wenig Sonne auf unserer Haut, etwa auf Gesicht und Hände, entsteht, nicht gänzlich ausgeglichen werden. Die meisten Ärzte empfehlen daher die Einnahme von Vitamin-D-Präparaten. In Ländern Nordeuropas, wo es im Winter noch weniger Sonne gibt, werden Grundnahrungsmittel, etwa Margarine und bestimmte Milchprodukte mit Vitamin D angereichert, um den Mangel zumindest teilweise auszugleichen.Ungefähr bis Ende September und etwa ab Mitte April reicht die Sonneneinstrahlung in unseren Breiten über die Frühjahrs- und Sommermonate aus, um uns mit genügend Vitamin D zu versorgen, im Winter eindeutig nicht. Rein physiologisch gesehen, kann ein Mangel an Vitamin D sogar dafür mitverantwortlich sein, dass sich bei vielen ab etwa November der sprichwörtliche „Winterblues“, eine depressive Verstimmung, einstellt. Ein zu niedriger Vitamin-D-Spiegel erhöht überdies das Risiko für Arthrose und Osteoporose (Knochenschwäche). Der Körper benötigt das Vitamin auch, um Kalzium aus der Nahrung in Knochen und Zähne einzubauen. Zudem gibt es deutliche Hinweise, dass Vitamin D das Immunsystem stärkt. Besonders ältere Personen, die ohnedies altersbedingt mit einer verminderten Vitamin-D-Bildung auskommen müssen, können in den Wintermonaten von Mangelerscheinungen betroffen sein und sollten ihren Vitamin-D-Status ärztlich abklären lassen.Laut dem deutschen Robert Koch-Institut sind 60 Prozent der Bevölkerung nicht ausreichend mit Vitamin D versorgt. Testergebnisse in Österreich lassen auf ähnliche Werte schließen. Der weitverbreitete Mangel an Vitamin D in der dunklen Jahreszeit ist aber nur eines der Beispiele, die jene Aussage relativieren, dass Nahrungsergänzungen überflüssig seien, wenn man sich ausgewogen ernährt. Im Prinzip schon richtig, aber eben nicht immer und nicht für alle.
Nahrungsergänzungen in bestimmten Fällen sinnvoll und notwendig
In der Prävention von Atemwegserkrankungen zum Beispiel und bei altersabhängiger Makula-Degeneration können Nahrungsergänzungen, unter ärztlicher Kontrolle verabreicht, sehr von Nutzen sein, weil sie Betroffenen die Chance geben, die Sehkraft bis ins hohe Alter zu erhalten.Zu einem höheren Bedarf bestimmter Nährstoffe führen oft auch Diäten, hoher Alkoholkonsum und Rauchen. Wer sich vegan ernährt, muss darauf achten, dass er alle essenziellen Nährstoffe in ausreichender Menge über die verzehrten Lebensmittel zu sich nimmt. Insbesondere der Bedarf an Eisen ist mit rein pflanzlicher Nahrung schwieriger zu decken.Nahrungsergänzungsmittel können eine schlechte Ernährung aber auch nicht ausgleichen, mahnen Experten. In einzelnen Fällen, in der Schwangerschaft, im Alter und bei chronischen Krankheiten - zum Beispiel Morbus Crohn oder schweren Entzündungen - kann es zu einem Nährstoffmangel kommen, der mit Supplements ausgeglichen werden muss.
Vitamin-B12-Mangel:weit verbreitet und gefährlich
Ein Vitamin-B12-Mangel entsteht über einen langen Zeitraum und wird oft erst spät oder gar nicht erkannt: Die gefüllten B12-Speicher in der Leber entleeren sich mit der Zeit, wenn über die Nahrung kein Nachschub mehr kommt. Ein Mangel kann zu neurologischen Beschwerden wie Schwindelattacken und heftigen Kopfschmerzanfällen führen. Die Betroffenen können auch verwirrt oder vergesslich sein, leiden oft an depressiven Stimmungsschwankungen und einer allgemeinen Kraftlosigkeit.Vitamin B12 ist an der Blutbildung beteiligt, aber auch wichtig für das Zellwachstum und die Funktion der Nerven. Bei Patienten mit Morbus Crohn behindert die chronische Entzündung im Darm die Aufnahme von Vitamin B12. Ähnliches kann auch Menschen passieren, die täglich Magensäurehemmer oder blutverdünnende Medikamente einnehmen. Diese verändern den pH-Wert im Magen und hemmen so die Aufnahme von Mikronährstoffen. Für die B12-Aufnahme ist der sogenannte intrinsische Faktor wichtig. Dieses im Magen gebildete Protein sorgt im Dünndarm dafür, dass das im B12 gebundene Cobalamin abgespalten wird. Nur so kann es im Körper gespeichert werden. Zerstören die Medikamente den intrinsischen Faktor, kann kein Vitamin B12 aufgenommen werden. Auch Diabetiker, die Metformin einnehmen, sollten ihren Vitamin-B12-Spiegel regelmäßig kontrollieren lassen.
Zu wenig Vitamin B12: Senioren besonders oft betroffen
Häufig tritt ein Vitamin-B12-Mangel bei älteren Menschen auf, denn rund 40 Prozent der Senioren haben eine bestimmte Magenschleimhautentzündung, die die Aufnahme von B12 beeinträchtigt. Zeigt sich, dass die Aufnahme über den Magen nicht funktioniert, kann das B12 mit bereits abgespaltenem Cobalamin auch per Spritze verabreicht werden. Meist genügen wenige Spritzen, um die Speicher für längere Zeit aufzufüllen. Hergestellt wird das B12 von Mikroorganismen, vor allem von Bodenbakterien. Tiere nehmen das B12 über verschiedene Wege auf, zum Beispiel beim Grasen auf der Weide oder beim Suhlen im Schlamm. Davon profitieren Menschen, wenn sie tierische Produkte verzehren. Neben Fleisch, Fisch und Meeresfrüchten enthalten auch Eier und Milchprodukte Vitamin B12, sodass auch Vegetarier genügend Vitamin B12 aufnehmen können. Bei dem in pflanzlichen Lebensmitteln wie Spirulina-Algen und Sauerkraut oder in Pilzen enthaltenen Vitamin B12 handelt es sich dagegen um ein Analogon, das Menschen nicht direkt aufnehmen und nutzen können. Im Gegenteil - dieses Analogon blockiert sogar die Aufnahme des „richtigen“ B12. Deshalb müssen Veganer besonders auf ihren Vitamin-B12-Spiegel achten. Aber selbst Menschen, die tierische Produkte essen, sind nicht selten von einem B12-Mangel betroffen. Als ein Grund dafür gilt, dass in der konventionellen Mast im Stall gehaltene Tiere oft keinen Kontakt zu den Bodenbakterien haben, die das Vitamin B12 produzieren.Doch nicht jeder, der gelegentlich müde ist, Schwindel hat oder wenig Fleisch isst, hat auch einen Eisen- oder Vitamin-B12-Mangel: Ob man eine Ergänzung braucht, kann nur eine Blutuntersuchung beim Arzt klären. Denn die voreilige Einnahme von Eisen- und Vitaminpräparaten oder anderen Nahrungsergänzungsmitteln kann auch gesundheitsschädliche Nebenwirkungen haben: So fördert zu viel Vitamin E in Kapselform die Entstehung von Lungenkrebs. Antioxidantien wie Vitamin C und E können Sport weniger effektiv machen. Die jahrelange hochdosierte Einnahme von Vitamin B6 wiederum kann das Lungenkrebsrisiko bei Männern erhöhen.
Aber Vorsicht: auch zu viel Vitamin B12 ist gefährlich
Viele Vitamin-B12-Präparate enthalten eine Dosis, die weit über den Empfehlungen und dem täglichen Bedarf liegt. Aktuelle Studien zeigen, dass das riskant sein kann - und definitiv keinen Vorteil bringt. Das deutsche Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) schlägt eine tägliche Höchstmenge durch Nahrungsergänzungsmittel von 25 Mikrogramm Vitamin B12 pro Tag vor. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) hält eine Aufnahme von nur 4 Mikrogramm pro Tag durch Supplements für angemessen. Doch die im Handel angebotenen Nahrungsergänzungsmittel übersteigen diese Werte um ein Vielfaches. Das ist nicht unproblematisch, denn laut aktueller Studien könnte ein zu hoher Vitamin-B12-Spiegel im Blut mit einem erhöhten Lungenkrebsrisiko verbunden sein. B12 ist für alle Zellen ein wichtiger Wachstumsfaktor - und das gilt auch für Krebszellen. Das Vitamin löst dabei nicht direkt Krebs aus, beschleunigt aber die Entwicklung unerkannter Krebsvorstufen im Körper.
Logisches Fazit zum Thema Supplements daher: Nicht wahllos rezeptfreie Mittel einnehmen nur weil man irgendwo etwas über ein bestimmtes Präparat gelesen hat, sondern unbedingt zuvor ärztlichen Rat einholen, ob und was man tatsächlich braucht, um gesund zu bleiben.
von Dr. Brigitte Gappmair