Tripper, HPV & Co. sind wieder stark da

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Die WHO, die Europäische Gesundheitsagentur ECDC, Universitäten und Krankenkassen schlagen Alarm: immer mehr Menschen nützen dank Internet die problemlose Verfügbarkeit neuer sexueller Kontakte und zu viele tun dies ohne schützendes Kondom. Die Infektionen bei Geschlechtskrankheiten steigen stark, Österreich liegt bei manchen Fallzahlen im europäischen Spitzenfeld.

Das Internet hat das Sexualverhalten vieler – nicht nur junger – Menschen komplett verändert: wer und wo auch immer sexuellen Kontakt und Befriedigung sucht, findet dies heute so unkompliziert und rasch wie niemals zuvor. Allseits verfügbare Internet-Pornografie, Dating-Apps und Online-Sex-Gruppen verschiedenster Neigungen sind nur einen Click entfernt. 

„Die Jugend wächst mit einem komplett anderen Zugang zur Sexualität auf als noch die Generation der Babyboomer“, heißt es in einer aktuellen Studie der Meduni Zürich unter dem Titel „Die Geschichte der Libido“. Dank Dating-Apps wie zum Beispiel „Tinder“ ist es vor allem für Männer immer leichter geworden, rasch eine flüchtige Sex-Partnerin zu finden, was Ernstes ist daraus selten geworden. Mittlerweile verliert Tinder (deutsch: Zunder), das seine Rekord im Jahr 2020 mit ca. 73 Millionen Usern verzeichnete, zunehmend an Nutzern, vor allem junge Frauen canceln die Dating-Plattform, wo sich derzeit zu rund 75 Prozent Männer tummeln. Zunehmend werden Schattenseiten von Dating-Apps bekannt. Die Autoren der Züricher Studie zitieren die deutsche Wissenschaftlerin Johanna Degen, die sich seit Jahren mit den Auswirkungen dieser Apps beschäftigt. Sie stellt fest, dass es oft mehr um die Quantität als um die Qualität gehe. „Der Sex wird bedeutungsloser und beliebiger“, sagt sie. Und im Gefolge dieser Beliebigkeit und leichten Verfügbarkeit ist Sex leider mitunter auch gefährlicher geworden, denn viel zu oft wird auf das schützende Kondom „vergessen“,  merken Fachleute an.

Die „Big Five“ sind wieder da

Syphilis, Gonorrhö, Chlamydien, Hepatitis und HPV – die häufigsten sexuell übertragbaren Krankheiten, in Fachkreisen gerne als „Big Five“ bezeichnet, sind wieder voll da. Sie waren aber auch nie ganz weg, nur etwas zurückgedrängt in Nischen, in denen sie sich gehalten haben über die Jahre und Jahrzehnte, als die Sexualmoral noch etwas strenger war und das Verhalten der Menschen vielleicht auch vorsichtiger. 

Auch die Fortschritte in der Medizin haben vor allem bei den Jungen die Angst vor Ansteckungen etwas in den Hintergrund gedrängt, denn mit den Antibiotika ist auch den Infektionen im Genitalbereich ein würdiger Gegner erwachsen, der allerdings aufgrund von zunehmenden Resistenzen an Abwehrkraft verliert. 

Österreich teilweise im Spitzenfeld

Eine WHO-Studie aus August 2024 zeigt die dramatische Entwicklung sehr deutlich.  Die aktuellen Daten veranschaulichen dringenden Handlungsbedarf: So stieg z. B. in den Jahren zwischen 2010 und 2019 die Zahl der Syphilis-Fälle bei den 15- bis 49-Jährigen in Europa um 87 Prozent an. Im selben Zeitraum wurden fast doppelt so viele HIV-Diagnosen neu gestellt wie in den Jahrzehnten davor, sodass derzeit rund 1,5 Millionen davon betroffen sind. Alarmierend auch der europaweite Anstieg an Chlamydien und Gonorrhoe („Tripper“) sowie das Auftreten von Infektionen, die zuvor nicht mit primär sexueller Übertragung in Verbindung gebracht wurden (z. B. Hepatitis B oder Shigellose). 

„Österreich liegt in diesem bedenklichen Trend und fällt besonders durch Höchstwerte bei Gonorrhoe und Chlamydien-Infektionen auf“, so Georg Stary und Katja Knapp von der Universitätsklinik für Dermatologie der MedUni Wien, die an der WHO-Studie mitgewirkt haben.

Syphilis – der Klassiker seit 1495

Auf das Jahr 1495 geht das erste dokumentierte Auftreten der Seuche unter französischen Soldaten zurück, die sich in Windeseile über ganz Europa ausgebreitet hat. Sie zeigt sich zuerst als harter münzförmiger Ausschlag an der Eintrittsstelle des Erregers in den Körper – also meist an den Geschlechtsorganen, aber nicht immer. Nach der Infizierung zeigen sich oft jahrzehntelang keine Symptome, obwohl die Gefahr hoch bleibt, andere anzustecken. Als Nächstes zersetzt die Syphilis Knochen und Gewebe, zuletzt das Gehirn. In Österreich wurden 630 Fälle im Jahr 2022 gemeldet, in Europa über 40.000 Fälle (2023). Von 2014 bis 2022 gab es eine Verdoppelung in der EU. 

Gonorrhö Tripper: seit 2014 um 300 % gestiegen

Fast 100.000 Tripper-Erkrankungen wurden 2023 in Europa registriert – allerdings bei sehr hoher Dunkelziffer. Ein Plus von 31 Prozent gegenüber dem Jahr davor und ein Plus von 300 Prozent seit 2014. In Österreich wurden im Jahr 2022 1425 Fälle gemeldet – ebenfalls bei sehr hohen Zahlen nicht bekanntgewordener und gemeldeter Tripper-Infektionen. Die Gonorrhö ist länger als jede andere sexuell übertragbare Infektion bekannt, nämlich schon seit der Antike. Die Wissenschaft entdeckte den Erreger allerdings erst im Jahr 1879. Ohne Behandlung können die Bakterien im Körper wandern und Entzündungen auslösen. Die wachsende Resistenz des Erregers gegen Antibiotika erschwert heute den Kampf gegen diese Krankheit.

Chlamydien

Chlamydien-Bakterien können nach der Ansteckung sehr lange unbemerkt bleiben. Sobald sie in einen neu infizierten Körper gelangen, erwachen sie beim Kontakt mit einer Schleimhaut, dringen in eine Zelle ein, wachsen dort. Von den Chlamydien existieren mehrere Unterarten. Manche rufen Augenkrankheiten hervor, eine einzige hingegen befällt den Genitalbereich und zeigt sich dort in warzenartigen Abszessen. Oft bleibt die Infektion aber lange ohne Symptome. Unerkannt kann sie bei Frauen zur Unfruchtbarkeit führen. In Österreich gab es 2023 ca. 1400 gemeldete Fälle (bei sehr hoher Dunkelziffer). In Europa wurden 2023 über 230.000 Fälle gemeldet. Das ist ein Plus von 13 Prozent seit 2014.

Hepatitis C

Hepatitis B wird hauptsächlich durch sexuelle Kontakte übertragen. Bei Hepatitis A hingegen reichen oft schon unzureichende Hygienemaßnahmen aus, da sich das Virus über Schmier- und Kontaktinfektionen verbreitet. Hepatitis C wird in erster Linie durch Blutkontakte weitergegeben – etwa über kleine Verletzungen beim Sex. Die C-Variante ist die gefährlichste Art der Krankheit; sie kann mit dem Totalversagen der Leber enden. Inzwischen ist sie aber in wenigen Wochen heilbar. In Österreich gab es 162 gemeldete Fälle im Jahr 2022. In Europa über 29.000 (2021).

Humane Papillomviren (HPV)

HPV sind eine Familie von mehr als hundert Viren, zwei davon rufen Genitalwarzen hervor. Fast jeder Mensch steckt sich irgendwann mit ihnen an – unbemerkt, denn nur selten bilden sich Warzen. Dennoch hat die Infektion gefährliche Folgen und kann Gebärmutterhalskrebs sowie Krebsgeschwüre an Hals, Vulva, Penis und Anus hervorrufen. Heilbar sind HPV-Infektionen nicht, aber verhinderbar: Seit 2006 gibt es eine hoch wirksame Impfung, die gegen viele Stämme schützt.

Diagnose und Therapie 

Bei Vorliegen von Beschwerden oder einem Infektionsverdacht können sich Betroffene für Diagnosen und Therapien an Facharztpraxen für Dermatologie und Venerologie, an solche für Urologie und Andrologie und an Praxen für Gynäkologie wenden, wobei die Kosten für Diagnose und Therapie über die e-card von allen zuständigen Sozialversicherungsträgern übernommen werden.

Beschränkte Meldepflicht

Die „klassischen“ Geschlechtskrankheiten sowie HIV & AIDS zählen in Österreich zu den beschränkt meldepflichtigen Krankheiten. Das bedeutet, jede Ärztin und jeder Arzt ist verpflichtet, eine solche Erkrankung an die zuständige Behörde zu melden, wenn sich die oder der Erkrankte weigert, sich einer Behandlung zu unterziehen. Dadurch sollen die Ansteckung anderer Personen und die Ausbreitung der Erkrankung verhindert werden. „Beschränkt meldepflichtig“ – das bedeutet aber auch, dass aufgrund der Gesetzeslage die meisten Fälle gar nicht gemeldet werden und die Wissenschaft mit einer sehr schwachen Datenlage und sehr hohen Dunkelziffern arbeiten muss.

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