Am Anfang war die Parenzana. Die Eröffnung der 116 Kilometer langen Radstrecke auf der Trasse der ehemaligen Schmalspurbahn von Triest nach Poreč /Parenzo im Jahr 2008 markiert quasi den Beginn des Radtourismus in Istrien. Der Boom hält bis heute unvermindert an: Die Halbinsel ist durchzogen von markierten Radrouten, clevere Touristiker haben das Veloziped als Wirtschaftsfaktor erkannt und geschickt zur Saisonverlängerung im Frühjahr beziehungsweise im Herbst genutzt.
Seit 2022 gibt es auch in Südistrien – also südlich des fjordartigen Limski-Kanals – eine Radstrecke, die entlang einer stillgelegten Eisenbahntrasse führt. Die Strika-Ferata von Rovinj/Rovigno nach Kanfanar/Canfanaro ist zwar mit 22 Kilometer deutlich kürzer als ihre große Schwester, die Parenzana, ist aber dennoch eines der Herzstücke des Biketourismus in Istrien: Die relativ gut gepflegte Strika ermöglicht es nämlich von Rovinj/Rovigno aus ohne viel Kontakt mit dem Straßenverkehr ins Landesinnere zu gelangen. Hier sind dann auf den Nebenstraßen die möglichen Routen schier unendlich.
Makija, Wein und Schildkröten
Er einmal mit dem Bike in Istrien unterwegs ist, merkt schnell, warum hier das Radfahren so beliebt geworden ist. Die meisten Touren sind technisch nicht allzu fordernd, die Steigungen bleiben meist moderat. Und im Unterschied zum autogestützten Badeurlaub bekommt man einfach viel mehr von Land und Leuten mit. Es geht entspannt durch Föhrenwälder und durch die Makija, es duftet nach Jasmin und Ginster; weiter im Landesinneren säumen mächtige Eichen den Weg, dazwischen Olivenhaine, Weingärten und Weideflächen auf denen die mächtigen Boskarinrinder, Esel und natürlich Ziegen - das Wappentier Istriens - stehen.
Mit etwas Glück bekommt man sogar noch eine Landschildkröte zu sehen. Diese sind freilich in freier Wildbahn schon recht selten geworden: Ihr Lebensraum wird zusehends kleiner, der Autoverkehr fordert viele Opfer und bis vor wenigen Jahren wurden sie sogar noch gefangen und an „tierliebende“ Leute in Deutschland oder Österreich verkauft.
Kirchen, Bunker und Partisanen
Wer mit dem Velo durch Istrien fährt wird auch die eine oder andere Sehenswürdigkeit vor das Objektiv bekommen, das die Mehrheit der Badeurlauber nicht kennt: Die Bunkeranlagen aus dem Ersten Weltkrieg bei Barbariga beispielsweise erkundet am besten mit dem Rad, im Landesinneren stößt man auf Reste der illyrischen Besiedelung sowie zahllose kleine Kirchen meist romanischen Ursprungs. Manche sind dem Verfall preisgegeben, andere liebevoll restauriert und echte Schmuckstücke. Die Hinterlassenschaften der römischen Zeit hingegen sind überwiegend auf die Region um die Hauptstadt Pula konzentriert.
Wer aufmerksam durch die Dörfer radelt, wird schnell merken: In jedem noch so kleinen Dorf erinnern Denkmäler an den Kampf der Partisanen gegen Nazi-Deutschland, die italienischen Faschisten und die kroatischen Ustascha-Faschisten. Die Denkmäler sind allesamt gut gepflegt und oft mit Blumen geschmückt: Im Unterschied zum Rest Kroatiens sind die Istrier mehrheitlich demokratisch und vor allem antinationalistisch orientiert. Es gibt eine starke und selbstbewusste italienische Minderheit.
Und noch etwas spricht für einen Radurlaub: Istrien ist gerade im Küstenbereich längst keine günstige Destination mehr; im Gegenteil: in Rovinj/Rovigno beispielsweise kann man durchaus von einem „Salzburger Preisniveau“ sprechen. Ein paar Kilometer landeinwärts schaut dann die Sache preislich schon wesentlich entspannter aus. Und hier findet man dann auch viele jener Köstlichkeiten ziemlich unverfälscht für die Istrien zu Recht geliebt wird: Pršut, Trüffel, Olivenöl, Wein und neuerdings sogar richtig gutes Bier. Das Kampanjola aus Svetvincenat sei an dieser Stelle beispielhaft hervorgehoben.
Thomas Neuhold