Übergewicht und Adipositas, definiert durch einen Body Mass Index von 25-29,9 bzw. über 30 kg/m2, betreffen immer mehr Menschen in vielen Ländern weltweit. Der Einsatz neuer Medikamente, welche zwei oder künftig sogar drei unterschiedliche Inkretinmimetika enthalten, kommt vergleichsweise an die Ergebnisse bariatrischer Operationen heran.
Für Österreich sind die rezentesten Zahlen der Statistik Austria aus 2019 jedenfalls auch beunruhigend: altersstandardisierte Daten zeichnen in unserer Bevölkerung mit 34,3% Übergewicht und 16,5% Adipositas ein düsteres Bild. Stetige Zunahmen in nahezu allen Altersgruppen um etwa 2% über 5 Jahre sind dazu beschrieben. Die Problematik zeigt sich bereits in jungen Jahren: 27% der 7 bis 12-jährigen sind übergewichtig oder adipös. Wie bei den Erwachsenen dominiert dabei das männliche Geschlecht. Maßnahmen wie der Nationale Aktionsplan Ernährung (NAP.e) und der Nationale Aktionsplan Bewegung (NAP.b) welche 2013 ausgerollt wurden haben diese Entwicklung bisher nicht stoppen können. Initiativen wie das Special Institute for Preventive Cardiology and Nutrition (SIPCAN), welches insbesondere gesunde Ernährung in Schulen und Betrieben auf wissenschaftlicher Basis fördert, und in weitreichenden Kampagnen die Reduktion des Zucker- und Fettkonsums unterstützt sind aber Beispiele für den richtigen Weg zu einer Trendumkehr. Regelmäßige körperliche Bewegung im Alltag und das Wecken von Freude am Sport gehören auch längst wieder an die Tagesordnung in Schule und Freizeit, um bei Kindern und Jugendlichen die genannten Zahlen nach unten zu drücken. Hierzu sind Aktivitäten der Sportvereine, vor allem aber Initiativen in den betroffenen Familien gefragt.
Gewicht abnehmen, wie?
Sind Übergewicht und Adipositas manifest, dann plagen sich viele im Erwachsenenalter mit diversen Diäten und Bewegungsprogrammen, leider häufig mit nur geringem Erfolg und dem so oft beschriebenen Jo-Jo Effekt. Lebensstiländerung mit psychologischer Unterstützung, Formula-Ernährung und drastischer Kalorienreduktion kann den Durchbruch zu deutlicher Gewichtsabnahme gelingen lassen. Langfristige Ergebnisse zeigen aber einen anhaltenden Effekt nur bei etwa 20% der Teilnehmer an Jahres-Programmen wie z.B. OptiFast, welche bei Adipositas angeboten werden.
Medikamentöse Therapie, Inkretinmimetika?
Die medikamentöse Unterstützung zur Gewichtsabnahme hat in den letzten Jahrzehnten häufig Rückschläge aufgrund zu geringer Wirksamkeit oder zu hoher Nebenwirkungsraten bekommen. Erst seit wenigen Jahren sind Medikamente welche primär zur Blutzuckersenkung bei Diabetes mellitus entwickelt wurden aufgrund ihres zusätzlichen Effekts auf das Körpergewicht bei Übergewicht und Adipositas zum Einsatz gekommen.
Diese Medikamente, als Inkretinmimetika bezeichnet, sind den Inkretinen oder „Darmhormonen“ ähnlich, welche im Zwölffingerdarm und im unteren Dünndarm produziert werden und für verschiedene Wirkungen zur Verdauung von Nahrungsmitteln und für die Appetitregulation verantwortlich sind. GLP-1-Rezeptoragonisten (GLP-1 = Glucagon-like peptide-1) zählen zu diesen Medikamenten. Sie bringen die Ausschüttung von Insulin und dessen gegenwirksames Hormon Glukagon in ein Gleichgewicht, regulieren die Nahrungsaufnahme durch eine Verlangsamung der Magen-Darm Beweglichkeit und geben ein Sättigungssignal an das Appetitzentrum
im Gehirn. Diese Wirkungen führen zu einer oft deutlichen Gewichtsabnahme von 10-15% des Ausgangsgewichts. Dabei werden im Vergleich zur Diabetesbehandlung höhere Dosierungen der GLP-1-Rezeptoragonisten eingesetzt. Als Nebeneffekt besteht häufig über die ersten 2-3 Wochen der Anwendung Übelkeit, diese gibt sich danach meist. Wie bei allen Medikamenten gibt es aber auch Personen, bei welchen sich keine ausreichende Wirkung zeigt oder auch die Übelkeit oder eine selten auftretende Verdauungsstörung nicht verschwindet. Ein kleiner Nachteil dieser Medikamente ist deren Applikation – man muss diese 1x täglich (Liraglutid) oder 1x wöchentlich (Dulaglutid, Semaglutid) selbst in das Unterhautgewebe spritzen. Allerdings gibt es dazu FertigPens mit sehr dünnen Nadeln, welche dies einfach und meist schmerzlos durchführen lassen. Wichtig ist dabei festzuhalten, dass diese Medikamente dauerhaft verwendet werden müssen, um die Gewichtsabnahme halten zu können. Vergleichbar kann die Verwendung einer Tablette zur Blutdrucksenkung bei Bluthochdruck beschrieben werden – sobald man diese weglässt, steigt der Blutdruck wieder. Neben den positiven Effekten der GLP-1-Rezeptoragonisten auf Gewicht und Blutzucker sind auch solche auf den Blutdruck und die Blutfette zu nennen, womit das kardiovaskuläre Risiko, welches bei vielen Personen mit Übergewicht oder Adipositas deutlich erhöht ist, reduziert werden kann. Bei vorbestehendem Diabetes mellitus ist damit diese Medikamentenklasse in den internationalen Behandlungsleitlinien weit nach vorne gereiht worden.
Operative Maßnahmen, bariatrische Chirurgie?
Als Alternative zur medikamentösen Therapie kann bei hohem Body Mass Index über 35 kg/m2 eine bariatrische Operation mittels Magen-Bypass oder Magenverkleinerung vorgeschlagen werden. Die Effekte auf das Gewicht sind damit noch deutlicher als mit einem GLP-1-Rezeptoragonisten ausgeprägt und können meist 20% oder mehr des Ausgangsgewichts betragen. Allerdings besteht ein Operationsrisiko, die Möglichkeit von Störungen im Hormon- und Stoffwechselhaushalt, sowie die Notwendigkeit regelmäßiger klinischer und labormäßiger Kontrollen. Bei morbider Adipositas mit einem Body Mass Index über 40 kg/m2 ist die operative der derzeit in Österreich erhältlichen medikamentösen Therapie eindeutig überlegen und damit die vorrangige Empfehlung. Das früher häufig eingesetzte Magenband wird dabei wegen oft nur zu geringem Effekt kaum mehr als operative Maßnahme verwendet
Ausblick in die nahe Zukunft
Der Einsatz neuer Medikamente, welche zwei oder künftig sogar drei unterschiedliche Inkretinmimetika enthalten, kommt vergleichsweise an die Ergebnisse bariatrischer Operationen heran. Aktuell liegen Studiendaten für die Kombination eines GLP-1-Rezeptoragonisten mit dem eines zweiten Inkretins, des GIP (= glucose dependent insulinotropic peptide), vor. Diese wurden wiederum als zuckersenkende Medikamente bei Diabetes mellitus eingesetzt und konnten erstmals bei etwa der Hälfte der Behandelten eine völlige Normalisierung der Blutzuckerwerte und eine Gewichtsabnahme von über 15% vom Ausgangswert erreichen. Die potentiellen Nebeneffekte gleichen denen der GLP-1-Rezeptoragonisten. Das erste Präparat mit zwei Inkretinmimetika (Tirzepatid) ist von der Europäischen Arzneimittelbehörde inzwischen zugelassen, aber in Österreich leider noch nicht erhältlich. Die Applikation gleicht den GLP-1-Rezeptoragonisten, es muss ebenfalls in das Unterhautgewebe injiziert werden. Die Unterstützung der Gewichtsabnahme mit diesen neuen Präparaten kann aber - wenn die „real world „-Ergebnisse im Alltag denen bisheriger Studien gleichen - für viele Personen erstmalig einen anhaltenden Erfolg erzielen. Soweit bisher beurteilbar sieht es nach einer Erfolgsgeschichte aus, welche in der medikamentösen Behandlung der Adipositas völlig neue Maßstäbe setzt.
von Prim. Univ. Prof. Dr. Raimund Weitgasser