Die Hernienchirugie ist einer der Schwerpunkte der Chirurgie am Krankenhaus in Hallein. Im PULS-Interview erklärt Priv.-Doz. Dr. Franz Mayer, warum das Krankenhaus Hallein zu den Top Adressen in Sachen Hernienchirurgie in Österreich zählt.
Sie sind ja Spezialist für Hernienchirurgie. Was versteht man darunter?
Dr. Mayer: Die Hernienchirurgie ist definitiv ein wichtiges Betätigungsfeld des „Allgemeinchirurgen“, kann und muss also von jedem Chirurgen bis zu einem gewissen Grad beherrscht werden. Manche Aspekte der Hernienchirurgie sind heute aber eine durchaus hochspezialisierte Chirurgie. Eingriffe, wie zum Beispiel Re-Eingriffe bei narbig zerstörter Bauchwand, erfordern sehr viel an chirurgisch-anatomischem Detailwissen, Planung, besondere technische Fertigkeiten und auch umfassende Ressourcen. Mit Stolz kann ich sagen: alles, was die moderne Hernienchirurgie heute erfordert, können wir hier im Krankenhaus Hallein gemeinsam mit der Universitätsklinik für Chirurgie Salzburg auch leisten, bis hin zur Behandlung der komplexesten Fälle. Im Jahr 2021 wurde auf europäischer Ebene das chirurgische Spezialgebiet „Abdominal Wall Reconstructive Surgery“ geschaffen und vom European Board of Surgery die dafür erforderlichen Leistungskriterien definiert. Gemeinsam mit einem Kollegen aus Wien war ich in Österreich der Erste, der in der Implementierung aktiv mitgewirkt und diese Zusatzqualifikation (F.E.B.S.-AWS) in Form einer Auszeichnung erhalten hat.
Können Sie uns die Entstehung von Hernien kurz erklären?
Dr. Mayer: Eine Hernie oder ein „Bruch“ liegt vor, wenn Organe oder Gewebe durch Schwachstellen in natürlichen Grenzschichten treten, also hindurchbrechen. So gerät zum Beispiel bei der Leistenhernie Darm oder Fettgewebe aus dem Bauchraum durch eine Schwachstelle in der Bauchwand im Verlauf des Leistenkanals vor den Bauch, manchmal bis auf den Oberschenkel oder tief in den Hodensack. Bei einem Narbenbruch ist die Narbe diese Schwachstelle, bei einer primären Bauchwandhernie sind es die Grenzen zwischen den verschiedenen Muskelschichten oder beim Nabelbruch der Bauchnabel. Die Entstehung einer Hernie ist im Falle der Narbenhernie somit einfach nachzuvollziehen. Nach einer Operation ist die Narbe weniger stabil als das gesunde Gewebe. Erhöht wird das Risiko der Entstehung einer Narbenhernie zum Beispiel durch Wundheilungsstörungen nach einer Operation oder auch durch individuelle Risikofaktoren unserer Patienten, wie z.B. Rauchen, chronisches Husten bei bestimmten Lungenerkrankungen oder Stoffwechselerkrankungen wie z.B. Diabetes. Alle diese Faktoren und mehr müssen demnach auch in einem hernienchirurgischen Behandlungskonzept berücksichtigt werden.
Wie entwickelt sich die Hernienchirurgie? Steigen die Eingriffe?
Dr. Mayer: Pro Jahr werden in Österreich rund 30.000 Leistenhernien operiert, damit zählt die Chirurgie der Leistenhernie auch zu den häufigsten Eingriffen in der Allgemeinchirurgie. Allein diese hohe Zahl an Operationen zeigt aber, dass es sich eine Gesellschaft nicht leisten kann, hier Qualitätsdefizite z.B. aufgrund von Ausbildungsmängeln zu akzeptieren. Solche Mängel würden sich mit den dadurch einhergehenden zusätzlichen Kosten, wie längeren Krankenhausaufenthalten oder Krankenständen, für den einzelnen Patienten aber auch die Gesellschaft negativ bemerkbar machen. Wenn man dagegen auf hohe Qualitätsstandards setzt, spart man Kosten und daher macht auch deshalb eine Spezialisierung Sinn. Unser hochspezialisiertes Hernienteam in Hallein leistet durchschnittlich 500 Eingriffe pro Jahr. In der Hernienchirurgie steht bei uns an der Universitätsklinik für Chirurgie und damit auch der „neuen“ chirurgischen Abteilung im Krankenhaus Hallein die Qualitätssicherung ganz oben im Fokus. Anstiege bei den Eingriffen sehen wir zuletzt besonders im Bereich der Narbenhernienchirurgie. Gewissermaßen als Spiegelbild der allgemeinen gesellschaftlichen Entwicklung werden auch die chirurgischen Patienten älter. In den letzten Jahren haben wir geradezu dramatische Verbesserungen in der Behandlung von Tumorerkrankungen oder von Patienten mit oft mehreren Begleiterkrankungen (z.B. des Herz-Kreislauf-Systems, des Stoffwechsels etc.) gesehen – und diese Entwicklung schreitet scheinbar unaufhaltsam voran. Viele Patienten „erleben“ heute also ihre Hernie im wahrsten Sinn des Wortes. Dieser Entwicklung muss auch von der Chirurgie Rechnung getragen werden.
Sie betonen immer wieder die Qualitätssicherung. Welche Bedeutung hat diese im Bereich der Hernienchirurgie?
Dr. Mayer: In Sachen Qualitätssicherung können wir in Mitteleuropa sehr viel von den Nordländern lernen. Dort stellt die Qualitätssicherung und -dokumentation einen in vielen Bereichen automatischen Bestandteil der klinischen Arbeit dar. Wir geben an der UK für Chirurgie Salzburg seit mehr als 11 Jahren und seit der Übernahme der Chirurgie hier in Hallein vor circa 4 Jahren praktisch alle unsere Bruchpatienten in ein internationales Qualitätssicherungsregister ein und haben hier mit mehr als 6.000 so dokumentierten und vor allem nachkontrollierten Behandlungsfällen in Österreich die Führungsposition inne. Es geht bei Qualitätssicherung nicht nur um Rezidivraten. Welche Komplikationsraten habe ich, wie geht es dem Patienten vor und nach der Operation? Das und vieles mehr (wie z.B. die kontinuierliche technische Weiterentwicklung, zuletzt bis hin zur Einführung des Roboters) sind wichtige Fragestellungen in der Qualitätsbeurteilung der Chirurgie. Mit der Qualitätsfrage mittel- bis langfristig untrennbar verbunden ist die Ausbildung junger ChirurgInnen, was uns und mir persönlich immer schon eine Herzensangelegenheit war und ist. Wir halten z.B. einen strukturierten Ausbildungskurs gemeinsam mit der Anatomie der PMU, vielen international hoch angesehenen ExpertInnen unter aktiver grenzüberschreitender Mitwirkung von anderen Krankenhäusern als Hospitationspartner ab, wo junge ChirurgInnen über drei Tage ganz fokussiert in der Hernienchirurgie ausgebildet werden. Das ist in dieser Form einzigartig in Österreich und fand Ende März wieder statt.
Wie arbeiten Sie mit dem Da Vinci Roboter im Rahmen der Ausbildung?
Dr. Mayer: Eine der wichtigsten Säulen einer guten Ausbildung junger ChirurgInnen ist das Erlernen des technischen Handwerks. Der Simulationstechnik und der chirurgische Robotik wird dabei in der Zukunft ein immer höherer Stellenwert beizumessen sein, wir sehen diese Entwicklung heute schon ganz eindeutig z.B. in den USA. Mit dem in der SALK neuesten Da Vinci Roboter haben wir hier im Krankenhaus Hallein auch ein duales Konsolensystem bekommen. Das heißt, wir haben einen Operationsroboter mit zwei Kontrollstationen. An einer Konsole sitzt der auszubildende junge Chirurg, an der anderen der erfahrene Chirurg. Vergleichbar mit dem System Pilot/Co-Pilot im Cockpit eines Verkehrsflugzeugs kann der erfahrene Chirurg auf Knopfdruck den Eingriff im Bedarfsfall jederzeit übernehmen und umgekehrt bestimmte vorab festgelegte Operationsschritte an die/den Auszubildenden abgeben. Der Lehrende kann unmittelbar Feedback geben, ohne dabei die Kontrolle über die Operation abzugeben. In Österreich sind wir aktuell die einzige Klinik, die Derartiges in Sachen Ausbildung in der Chirurgie anbieten kann.
Welche Vorteile hat dieses System abseits der Ausbildung in der chirurgischen Praxis?
Dr. Mayer: Der herausragendste Vorteil des Roboters liegt neben der qualitativ einzigartigen 3-dimensionalen Darstellung des Operationsfeldes in seinen exzellenten, dem menschlichen Organismus definitiv überlegenen Freiheitsgraden in der Bewegung der chirurgischen Instrumente. Ein „normales“ Instrument in der „traditionellen“ minimal-invasiven Chirurgie ist gerade, in der robotischen Chirurgie können wir dagegen sozusagen wie mit der eigenen Hand und damit 7 Freiheitsgraden arbeiten. Das eröffnet uns Möglichkeiten in der Erreichbarkeit anatomischer Strukturen mit einer Präzision, die bis dato nicht machbar gewesen ist. Zum Beispiel ist das endoskopische Nähen an der Bauchdecke mit geraden Instrumenten in bestimmten Bereichen einfach nicht machbar, weil ich ein gerades Instrument nun einmal nicht abbiegen kann. Mit dem Operationsroboter ist das kein Problem mehr. Damit einhergehend sind dann aber auch gewebeschonenderes Operieren und am Ende z.B. ein geringerer postoperativer Schmerzmittelverbrauch möglich. Darüber hinaus sehen wir auch eindeutige ergonomische Vorteile für den Operateur. Das ist mit Sicherheit ein nicht unwichtiger Aspekt wenn man bedenkt, dass mit einer Verbesserung des unmittelbaren Arbeitsumfeldes auch eine Steigerung der Leistungsfähigkeit und ein längerer Erhalt der selben verbunden ist.