Bis vor wenigen Jahren gab es keine blutzuckersenkenden Medikamente mit direkter Wirkung in den vom Diabetes betroffenen Zielorganen. Neue Medikamente der Klassen SGLT-2-Hemmer und GLP-1-Rezeptoragonisten konnten dies ändern.
Mit knapp 10% der Bevölkerung Österreichs stellen Betroffene mit der Diagnose Diabetes mellitus einen großen Anteil chronisch erkrankter Personen dar. Davon sind ca. 90% dem Typ 2 zuzuordnen, einer Stoffwechselstörung bei welcher das Hormon Insulin, welches in der Bauchspeicheldrüse produziert wird, nicht ausreichend wirkt und im Verlauf der Erkrankung auch nicht in adäquater Menge produziert wird. Die Diagnose eines Typ 2 Diabetes ist einfach gestellt: zumindest 2x Messung des Blutzuckers mittels Fingerstich und ergänzend die Bestimmung des „Zuckerlangzeitwerts“ HbA1c, welcher mit der Höhe des mittleren Blutzuckers über die letzten 2-3 Monate korreliert.
Behandlung des Typ 2 Diabetes
Die Grundlage für die Diabetes-Behandlung stellen Lebensstilmaßnahmen dar. Eine ausgewogene Mischernährung welche sich an der „Mediterranen Ernährung“ mit viel Gemüse, Vollkornprodukten, Hülsenfrüchten, und Milchprodukten, Käse, Olivenöl, Obst, Fisch, weißem Fleisch, Nüssen, Gewürzen orientiert wird dazu empfohlen. Kombiniert mit gesunder Ernährung ist verstärkte körperliche Bewegung im Alltag bzw. je nach Möglichkeit regelmäßiges Training oder Sport wichtig. Dies senkt den Blutzucker und hilft häufig die Erkrankung ohne medikamentöse Behandlung in den Griff zu bekommen. Im Weiteren ist die Vermeidung psychischer Belastung hilfreich, um die Ausschüttung gegenregulatorischer Hormone zum Insulin hintanzuhalten. Die Information dazu steht durch Diabetesschulung in Kursform jeder Person mit Diabetes zu und sollte erstmals möglichst rasch nach der Diagnose der Erkrankung als wichtiger Bestandteil der Therapie erfolgen. Erreicht man durch Lebensstilmodifikation das individuelle Ziel der Blutzucker- bzw. HbA1c-Senkung nicht, wird eine medikamentöse Behandlung nötig. Diese war über Jahrzehnte vorwiegend auf diese Ziele fokussiert, um Folgeschäden durch hohe Blutzuckerwerte zu verhindern oder zumindest zu reduzieren.
Neue medikamentöse Effekte
Bis vor wenigen Jahren gab es keine blutzuckersenkenden Medikamente mit direkter Wirkung in den vom Diabetes betroffenen Zielorganen. Neue Medikamente der Klassen SGLT-2-Hemmer und GLP-1-Rezeptoragonisten konnten dies ändern. SGLT-2-Hemmer reduzieren die Rückaufnahme des über den Harn ausgeschiedenen Zuckers in der Niere und führen damit zu einer deutlichen Blutzuckersenkung. Weiters haben diese Medikamente aber auch eine direkte schützende Wirkung auf die Nierenfunktion, welche sich ja im Laufe der Diabetesdauer und insbesondere ungenügenden Diabeteseinstellung (mit hohen bzw. stark schwankenden Blutzuckerwerten) verschlechtert. Außerdem wurde für diese Medikamente eine positive Beeinflussung der Herzfunktion festgestellt. Die bei Diabetes mellitus häufig festzustellende Herzschwäche mit Flüssigkeitsretention (Atemnot, Beinödeme) lässt sich damit deutlich bessern bzw. verhindern. Die Effekte an diesen beiden Organsystemen Niere und Herz sind mittlerweile auch an Personen mit Nieren- oder Herzerkrankung ohne Diabetes mellitus nachgewiesen worden. Damit profitieren viele Patienten mit chronischen kardiovaskulären Erkrankungen von diesen auch als Gliflozine bezeichneten Medikamenten. Zudem senken diese Medikamente den Blutzucker nicht in den hypoglykämischen Bereich – Unterzucker-Symptome oder damit verursachte Schäden treten damit nicht auf. Nebeneffekte beschränken sich im klinischen Alltag auf genitale Pilzinfekte, diese sind allerdings manchmal limitierend für den weiteren regelmäßigen Einsatz. Die zweite Medikamentenklasse mit positiven Effekten auf Organebene, die der GLP-1-Rezeptoragonisten, zeichnet sich ebenfalls durch kardiovaskuläre Protektion aus. Das Risiko für Herzinfarkte und Schlaganfälle kann bei bereits stattgehabten Erxeignissen deutlich reduziert werden, der Blutdruck wird neben Blutzucker und Körpergewicht gesenkt. Die Gewichtsabnahme kann durchaus 5-10% des aktuellen Körpergewichts betragen. Zusätzlich können GLP-1-Rezeptoragonisten die Eiweißausscheidung über die Niere, welche ein Zeichen einer bereits bestehenden Nierenfunktionsstörung ist, reduzieren und damit protektiv am Organ wirken. Einziger Nachteil der Applikation dieser Medikamente ist derzeit die Notwendigkeit sie mit einer Spritze zu verabreichen. Die sehr einfache Applikation mittels eines Pens mit dünner Spritzennadel erfolgt durch Injektion in das Subkutangewebe (Bauch, Oberarm, Oberschenkel) 1x täglich oder 1x wöchentlich durch die Patienten selbst. Als Nebeneffekte werden Verdauungsstörungen und zumindest in den ersten 2-3 Wochen der Behandlung auftretende Übelkeit beschrieben. GLP-1-Rezeptoragonisten wirken an mehreren Stellen im Körper. Sie steigern die Insulinausschüttung und reduzieren die Wirkung des Glukagons, eines Insulinantagonisten, womit ein geringerer Anstieg des Blutzuckers nach einer Mahlzeit erfolgt. Weiters ergibt sich eine gleichmäßigere Nahrungsaufnahme über Magen und Darm bei ausgeglichenerer Motilität dieser Verdauungsorgane. Zusätzlich kommt es zu einer Rückkoppelung zum Appetitzentrum welche frühere Sättigung anzeigt und den Effekt der oft ausgeprägten Gewichtsabnahme verstärkt. Weitere als Inkretine bezeichnete Medikamente (Kombinationen zweier oder mehrerer „Darmhormone“) mit noch stärkerer Wirkung auf die Normalisierung des Blutzuckers und des Körpergewichts sind in Erprobung. Ersten Studienergebnissen zufolge werden vielen Patienten davon profitieren bei welchen das Behandlungsziel mit den derzeit verfügbaren Medikamenten nicht erreicht werden kann.
Einsatz in der Primärprävention
Durch große internationale Multicenter-Studien und Beobachtungen im Praxisalltag sind beide neueren Medikamentenklassen für Diabetes-Patienten mit kardiovaskulären Risikofaktoren auch ohne bereits stattgehabten Herzinfarkt oder Schlaganfall mit protektiven Effekten einsetzbar. Allerdings unterliegen die genannten Medikamente unterschiedlichen Erstattungskriterien über die Gesundheitskasse bzw. Krankenversicherungen. Wichtig ist aber festzuhalten, dass diese Medikamente auch in Kombination eingesetzt nicht immer ausreichen, um eine optimale Blutzucker- und HbA1c-Senkung zu erreichen. Dies ist nötig, um diabetes-spezifische Folgen z.B. an den Augen zu verhindern. „Ältere“ zuckersenkende Medikamente sind damit natürlich weiter in Verwendung, insbesondere das schon lange verwendete Metformin zählt dazu.
Diabetestherapie heißt immer Behandlung aller Risikofaktoren
Neben der Blutzuckereinstellung ist die Kontrolle weiterer Risikofaktoren für kardiovaskuläre Erkrankungen und diabetische Folgeerkrankungen wichtig. Blutdruck, Blutfette und Körpergewicht sollten in den individuellen Zielbereich gebracht werden, ein Rauchstopp sollte erreicht werden. Bereits bestehende Begleiterkrankungen bedürfen zudem einer optimalen medikamentösen Behandlung entsprechend den internationalen und nationalen Behandlungsleitlinien. Die Indikation für eine Behandlung eines Typ 2 Diabetes mit den beschriebenen neuen Medikamenten (SGLT-2 Hemmer und GLP-1-Rezeptoragonisten) muss entsprechend den individuell vorhandenen Vorerkrankungen und Risikofaktoren im Sinne einer personalisierten Medizin erfolgen. Eine genaue Krankheits- und Medikations-Anamnese ist dazu nötig. Ergänzende körperliche Untersuchungen, Laborbestimmungen und apparativ erhobene Zusatzbefunde unterstützen dies, um einen sicheren und wirksamen Einsatz dieser Medikamente zu gewährleisten.
von Prim. Univ. Prof. Dr. Raimund Weitgasser