von Prof: Dr. Davor Lessel
Segmental progeroide Syndrome sind seltene erbliche Erkrankungen, bei denen Betroffene Zeichen einer vorzeitigen Alterung in mehr als einem Organ oder Gewebe zeigen. Aktuelle Forschungsbemühungen zielen auf die Aufklärung dessen molekularen Mechanismen, um effektive Therapieansätze zu entwickeln, welche möglicherweise auch bei allgemeinen Alterungsprozessen eingesetzt werden können.
Das Altern ist sicherlich einer der kompliziertesten biologischen Prozesse im menschlichen Körper und einer der wenigen, die jeder Mensch zwangsläufig durchläuft. Es wird angenommen, dass dieser Prozess durch komplexe Wechselwirkungen der genetischen Veranlagung und des Einflusses verschiedener äußerer Faktoren reguliert wird. Trotz großer Forschungsfortschritte in den letzten Jahren sind die zellulären Mechanismen, die das physiologische und pathologische Altern regulieren, immer noch nicht vollständig aufgeklärt. Altersbedingte Erkrankungen werden für die Gesundheitssysteme immer wichtiger, da die Weltbevölkerung, insbesondere die Lebenserwartung der Bevölkerung in der „westlichen Welt“, sich in den letzten Jahrzehnten kontinuierlich verlängert hat. Dementsprechend stellen altersbedingte Erkrankungen eine der größten Herausforderungen für die Gesundheitssysteme dar.
ERFORSCHUNG DER ALTERUNGSPROZESSE
Die Alterungsprozesse können auf unterschiedliche Weise untersucht werden. Eine der Möglichkeiten ist die Erforschung der alten Menschen selbst, beziehungsweise die gezielte Erforschung altersassoziierter Erkrankungen wie Hör- und Sehstörungen, Demenz, Diabetes mellitus Typ 2, Osteoporose, koronaren Herzkrankheit sowie verschiedener bösartiger Tumore. Außerdem verwenden viele Wissenschaftler verschiedene Tiermodelle, von Mäusen, Ratten, Würmern bis hin zu Fruchtfliegen, um die molekularen Mechanismen zu entdecken, die verschiedene Alterungsprozesse regulieren und um molekular definierte Medikamente zur Prophylaxe und/oder Therapie zu identifizieren.
SEGMENTALE PROGEROIDE SYNDROME
Ein weiterer Ansatz zur Erforschung des Alterungsprozesses ist die Untersuchung sogenannter Segmentaler progeroid Syndrome (SPS). Dabei handelt es sich um äußerst seltene, klinisch und genetisch heterogene Erkrankungen, die durch Anzeichen einer vorzeitigen/beschleunigten Alterung gekennzeichnet sind, und mehrere Gewebe oder Organe betreffen. Für Humangenetiker sind diese Syndrome von besonderem Interesse, da es sich in den allermeisten Fällen um die monogenen Erkrankungen handelt. Das bedeutet, dass diese Syndrome durch eine einzige Veränderung im menschlichen Genom verursacht werden die das Krankheitsbild und den Krankheitsverlauf bestimmt. Zu den typischen klinischen Zeichen einer vorzeitigen Alterung bei diesen Syndromen zählen das vorzeitige Auftreten folgender Symptome oder Erkrankungen: Ergrauen/Verlust des Haares, Hörstörungen, Katarakte, Sklerodermie-ähnliche Hautveränderungen, Diabetes mellitus Typ 2, Osteoporose, Atherosklerose und koronare Herzerkrankung sowie unterschiedliche maligne Tumoren. Es handelt sich also um Symptome, die in der Allgemeinbevölkerung typischerweise erst im höheren Lebensalter auftreten. Es ist jedoch wichtig zu betonen, dass genauso wie bei keinem Menschen alle Organsysteme gleichermaßen altern, auch Betroffene mit SPS typischerweise nicht in allen Organen Symptome einer vorzeitigen Alterung zeigen, weshalb sie ja auch als „segmental“ bezeichnet werden. Bedingt durch rasante technologische Entwicklungen in der Humangenetik der letzten Jahre, wurden durch Einsatz der Hochdurchsatzsequenzierungen („Next-Generation-Sequencing“) mehrere genetische Ursachen in z.T. sehr wenigen Betroffenen identifiziert. Aufgrund des Erkrankungsalters können die SPS in kongenitale, infantile und juvenile Formen unterteilt werden. Die prototypischen Beispiele wären das Wiedemann-Rautenstrauch Syndrom (WRS) verursacht durch pathogene Varianten im POLR3A-Gen, das Hutchinson-Gilford-Progerie Syndrom (HGPS) verursacht durch eine synonyme de novo (nicht vererbte) Variante im LMNA-Gen und das Werner Syndrom (WS) verursacht durch pathogene Varianten in WRN-Gen.
BEDEUTUNG DER SPS FÜR DIE ALLGEMEINE ALTERUNGSPROZESSE
Die Aufklärung und die funktionelle Charakterisierung der genetischen Ursachen von SPS hat zur Aufklärung von molekularen Kennzeichen der SPS beigetragen. Das Verständnis dieser molekularen Mechanismen könnte zur Entwicklung zielgerichteter Therapieansätze beitragen, um die Behandlung von Erkrankungen des fortgeschrittenen Alters zu verbessern. Diese Annahme beruht nicht nur auf der Tatsache, dass Patienten mit SPS früh eine ganze Reihe alterstypischer Symptome entwickeln, sondern auch auf die Ähnlichkeit der molekularen Kennzeichen der „physiologischen Alterung“ und Alterns bei SPS. Dazu zählen insbesondere die Telomerdysfunktion, die genomische Instabilität, die mitochondriale Dysfunktion, die Erschöpfung des Stammzellenpools, die zelluläre Seneszenz, die Deregulierung des Zellzyklus sowie epigenetische Veränderungen und Entzündungsvorgängen. Es zeigt sich bereits aktuell, dass das verbesserte Verständnis der Mechanismen der SPS zur Entwicklung von sogenannten „Senolytics“ beitragen kann, welche darauf zielen, durch die Hemmung der Seneszenz und/oder Apoptose den Ausbruch von Alters-assoziierten Erkrankungen zu verlangsamen und somit die gesunde Lebensphase zu verlängern. Identifizierung neuer genetischer Ursachen der SPS sowie deren molekularen Mechanismen stellen also eine attraktive Möglichkeit, das physiologische Altern und altersassoziierte Erkrankungen besser zu verstehen und möglicherweise gezielt positiv beeinflussen zu können.