In Salzburg forscht Univ.-Prof. Dr. Eva Rohde an Therapien mit Nanovesikeln. Patientinnen von Orthopädie, Kinder- und Neurochirurgie sowie nach Innenohrschädigungen könnten davon profitieren. Ziel ist ein biologisches, zellbasiertes Therapeutikum.
Extrazelluläre Vesikel sind winzige, nanometergroße Bläschen, die Zellen aller Organismen einschließlich menschlicher Körperzellen freisetzen und aussenden. Diese Vesikel besitzen eine Doppelmembran aus Lipiden und Proteinen und enthalten unter anderem auch Bausteine der genetischen Information wie zum Beispiel Ribonukleinsäuren oder RNA (mRNA und miRNA). So können „Botschaften“ zwischen den Zellen übertragen werden, die für die Regulation lebensnotwendiger Prozesse aber auch für die Entstehung zahlreicher Krankheiten verantwortlich sind. Daneben können sie eine wesentliche Rolle bei der Krebsdiagnostik und beim Therapiemonitoring spielen.
Entdeckung vor 100 Jahren
„Bereits 1920 hat man unter dem Elektronenmikroskop Zellen fotografiert und gesehen, dass innen und ausserhalb der Zellen kleine Pünktchen herumschwirren. Man hat diese Nano-Strukturen bis kurz nach der Jahrtausendwende als Müllentsorgungsmaschinerie (garbage) der Zellen gedeutet und diesem Prozess keine besondere Bedeutung zugemessen. Diese Pünktchen sind Nanovesikel oder Bläschen, die wie unsere Zellen in jedem Organismus vorhanden sind und von den Zellen abgespalten werden“, schildert Prof. Eva Rohde, Vorständin der Transfusionsmedizin am Universitätsklinikum Salzburg die ersten Erkenntnisse vergangener Jahrzehnte.
Minidrohne Nanovesikel
Jetzt kommen Nanovesikel ins Spiel. Wenn man sich Zellen als Rechner (im Englischen personal computers, PC) vorstellen würde, die früher durch Kabel verbunden waren, um zu kommunizieren, so stellt das Vesikel den USB-Stick zwischen zwei PCs dar. Für den nanovesikel-vermittelten Transfer von Information sind Zell-Zellkontakte (also Kabel zwischen PCs) nicht mehr zur Kommunikation nötig. Die winzigen Vesikel sind keine Zellen, also um beim Beispiel zu bleiben, entsprechen nicht einem Computer mit eigener Prozessor-Einheit (Zellkern) und schaffen es trotzdem, Informationen zu übermitteln. Nanovesikel sind im Volumen rund 3 Millionen Mal kleiner als eine Zelle. „Wir stoßen daher bei der Messung der physikalischen Eigenschaften der Nanovesikel an Grenzen. Wir finden die Nanovesikel oft nur, wenn wir die Brownsche Molekularbewegung messen. Das heißt, wir haben ein Schneegestöber am Bildschirm und messen nur mehr deren Bewegung ohne die Vesikel zu erkennen. Diese Nanozwerge sind als Minidrohnen zu verstehen, welche Informationen an die Zellen weitergeben, um etwa ein Protein zu erzeugen, oder sie unterdrücken Aktivitäten wie zum Beispiel Entzündungsgeschehen. Möglicherweise sind sie auch in der Lage ein Wachstumsprogramm im negativen Sinne anzuschalten, etwa in der Tumorbildung“, so Rohde.
Forschung: Was können Zellen in der Therapie erreichen?
Kann man menschliche Zellen als ein Therapieprodukt aufarbeiten? Vor allem, kann man erreichen, dass Heilungsvorgänge nach Verletzungen in Geweben und Organen optimiert werden? Seit 2011 forscht das Team rund um Prof. Eva Rohde in Salzburg zum Thema „Stammzellen für Therapiezwecke“. Es geht darum, wirksame Pharmazeutika aus biologischen Rohstoffen menschlichen Ursprungs zu produzieren.Die Entscheidung, Therapien nicht aus intakten, lebensfähigen Zellen, sondern aus deren abgesonderten Nanovesikeln zu entwickeln, wurde maßgeblich vom Genetiker, Univ. Doz. Dr. Mario Gimona ausgelöst. Seit 2010 arbeiten Rohde und Gimona intensiv in diesem Zukunftsfeld im GMP-Labor der PMU, weil sich ungeahnte Möglichkeiten auftun. Nanovesikel als Zelltherapeutika der nächsten Generation können im Sinne einer „zellfreien Zelltherapie“ innovative Behandlungsoptionen für vielfältige klinische Herausforderungen liefern. Die therapeutischen Konzepte reichen von Möglichkeiten optimierter Wirkstoffverabreichung über Impfungen bis hin zu Anti-Tumor-, anti-infektiösen, immunmodulatorischen oder regenerativen Therapien. Nachdem die Forschung an Nanovesikulären Therapien vom Land Salzburg und mit EU-Geldern seit 2017 mit Millionenbeträgen gefördert wurde und die Universitäten (PMU und PLUS) das Thema Nanovesikel als neue Therapieformen ebenfalls stark unterstützt haben, entstanden daraus neue Einrichtungen im Land Salzburg. Einerseits das Ludwig Boltzmann Institut zur eher grundlagenorientierten Forschung und andererseits ein Unternehmen, gegründet von Rohde und Gimona, die „Small New World Laboratories“ zur eher anwendungsorientierten Forschung.
Bestimmung des Wirkungsfensters
Rohde: „Wenn wir die Nanovesikel als biologische Medizin einsetzen können, so wie wir schon jetzt Blut verwenden, müssen wir im Labor und in Untersuchungen an Menschen beweisen, dass sie einerseits wirken, und andererseits keine allzu schlimmen Nebenwirkungen auftreten. Die Nanovesikel unserer Forschung und Therapieentwicklung stammen aus dem Nabelschnurgewebe von gesunden Menschen. Wollen wir ein Medikament aus Nanovesikel entwickeln, muss darauf geachtet werden, dass es bei Empfängern nicht zu einer Immunabwehr kommt. Die Wirkung wäre damit nur zeitlich begrenzt und womöglich unzureichend. Wenn wir nach einer therapeutischen Wirkung der Nanovesikel suchen, müssen wir vor allem das Wirkungsfenster finden. Wann wirkt es, wann nicht und in welcher Dosis? Bei unserem Forschungsziel geht es in erster Linie um die Förderung der Regeneration im Körper nach akuten Verletzungen und um die Verhinderung von überschießender Narbenbildung und Entzündungen. Dafür glauben wir mit den Nanovesikeln eine Geheimwaffe zu haben.
Anwendungsgebiete
Zu den Einsatzgebieten einer Nanovesikel-basierten Therapie zählen Felder wie die Neurochirurgie, wo man Defekte und überschießende Vernarbung verhindern möchte. Ebenso die Bauchraumchirurgie um Verklebungen zu verhindern. Generell sollen Nanovesikel helfen, die Vernarbung nach Verletzung eines Organs zu verhindern und eine funktionierende Heilung zu fördern. Die Funktion des Originalgewebes soll dabei wieder erlangt werden.
Konkrete Versuche gibt es schon
Bei einer akut aufgetretenen Sehnenverletzung soll die Sehneneinheilung, also die Verschränkung von Sehnen und Knochen, durch den Einsatz von Nanovesikeln optimiert werden. Denn im Rahmen von ausschließlich chirurgischen Therapien sind hohe Raten von Re-Rupturen (also 2. Einrisse oder Sehnenabrisse) zu beobachten. Für diese Anwendung gibt es einen Patentschutz. Die Wirksamkeit von Nanovesikeln konnte bereits in Großtiermodellen bewiesen werden.
Besser hören
Ein weiteres, bereits konkretes Therapiefeld ist die Innenohrschwerhörigkeit, bei der die Funktion der Schnecke (Cochlea) ausgefallen oder eingeschränkt ist. Ist der Hörnerv nicht geschädigt, kann dieser über ein Cochlea-Implantat (CI) direkt stimuliert werden. Kernstück des Implantats ist ein Elektrodenträger, der in die Hörschnecke eingeführt wird und dort die vorhandenen Nervenzellen elektrisch anregt. Patienten können nach Cochlea-Implantation jedoch Entzündungen entwickeln, die zu Vernarbung und „Isolierung“ der Elektrode führen, wodurch es zu einem 2. Hörverlust kommen kann. Hier wurde bereits bei einem Menschen ein Heilversuch mit Nanovesikeln gestartet. Der Patient hatte links ein Cochlea Implantat mit Nanovesikeln erhalten. Der Therapieversuch wurde gut vertragen und die Sprachverständlichkeit war sehr gut. Dazu gibt es eine Zusammenarbeit mit dem Innsbrucker Unternehmen MED-EL. Es geht wie im Fall der Sehnenheilung darum, die Reaktion des Gewebes auf eine Verletzung zu verbessern, indem Nanovesikel entzündungsmindernd wirken und eine Narbenbildung verhindert wird.